Uncover Covering durch Job Crafting

🗄️ Impact | ⏱️ 10 Minuten | ✒️ Uta Menges

Inhalt
• Was ist Covering?
• Wodurch entsteht Covering?
• Was bedeutet das für Arbeitnehmer:innen?
• Wie funktioniert Uncover Covering?
• Wie wir gemeinsam Covering überwinden können

 

Was ist Covering?

Der Begriff „Covering“ wurde maßgeblich von Kenji Yoshino geprägt [1]. Er beschreibt damit subtile Anpassungsmechanismen, bei denen Individuen bestimmte Aspekte ihrer Identität bewusst zurückhalten oder abschwächen, um gesellschaftlichen Normen zu entsprechen.

Das Konzept des "Covering" beschreibt, wie Individuen mit einer erkennbaren, aber stigmatisierten Identität versuchen, bestimmte Aspekte ihrer Identität zu unterdrücken, um sozial akzeptabler zu wirken.

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Bereits in 1963 [2] stellte Erving Goffman erstmals fest, dass Menschen, selbst wenn ihre Identität öffentlich bekannt ist, Strategien entwickeln, um die soziale Wirkung dieser Identität zu minimieren. So vermied es der US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der an einer Lähmung der Beine erkrankte, im Rollstuhl fotografiert zu werden, um seine körperliche Behinderung zu verstecken.

Es geht beim Covering also darum, spezifische Identitätsmerkmale weniger sichtbar erscheinen zu lassen oder durch das eigene Verhalten zu verschleiern.

Das Thema wurde unter dem Slogan “Uncover Covering” in der Arbeitswelt aufgegriffen und bedeutet übersetzt in etwa “das Verdeckte aufdecken”. Es geht darum, auf besondere Belastungen marginalisierter Gruppen hinzuweisen.

Die vier Dimensionen des Covering

Yoshino identifiziert vier Hauptbereiche, in denen Menschen Covering praktizieren:

  1. Erscheinung (Appearance): Anpassung des äußeren Erscheinungsbildes, um weniger aufzufallen.
    Zum Beispiel lassen sich viele asiatische Frauen die Augen operieren, um westlichen Schönheitsidealen zu entsprechen. Auch die Anpassung an einen bestimmten Kleidungsstil am Arbeitsplatz, zum Beispiel das Tragen von Anzug oder Kostüm, fällt in diese Kategorie.

  2. Zugehörigkeit (Affiliation): Vermeidung von Verhaltensweisen oder Ausdrucksformen, die stark mit der eigenen Gruppe assoziiert werden.
    So könnte es beispielsweise eine berufstätige Mutter vermeiden, über ihre Kinder zu sprechen, um mehr als karriere- statt familienorientiert zu gelten. Oder eine Person könnte intensives Sprachtraining absolvieren, um den Akzent einer bestimmten regionalen Gruppe zu reduzieren. Auch das Ablegen religiöser Symbole am Arbeitsplatz ist ein Beispiel für diese Art des Covering.

  3. Fürsprache (Advocacy): Zurückhaltung bei der Unterstützung oder Verteidigung der eigenen Gruppe.
    Ein schuler Mann widerspricht nicht, wenn Witze über homosexuelle Menschen gemacht werden, um nicht als überempfindlich zu gelten. Eine Frau mit einer nicht-sichtbaren Behinderung könnte es unterlassen, sich bei Diskussionen zur Schaffung einer barrierefreien Arbeitsumgebung einzubringen, um keine Rückschlüsse auf ihre eigene Behinderung zuzulassen.

  4. Assoziation (Association): Distanzierung von anderen Mitgliedern der eigenen Gruppe.
    Eine Mitarbeiterin nimmt nicht an Treffen des firmeninternen Frauennetzwerks teil, um zu vermeiden, dass andere dies als Schwäche und Suche nach Support bewerten. Oder bei einer Firmenveranstaltung vermeidet eine Person mit ausländischer Nationalität die Gesellschaft von Menschen mit gleicher Herkunft, damit sie als zu den deutsche Kolleg:innen zugehörig wahrgenommen wird.

Ein zentrales Argument Yoshinos ist, dass Covering nicht nur marginalisierte Gruppen betrifft, sondern eine universelle Erfahrung ist. Es betrifft Geschlecht, Ethnizität, Sexualität, Religion, Gesundheit und weitere Facetten der persönlichen Identität. Laut einer Deloitte-Studie [3] bestätigen beispielsweise 83% der lesbischen, schwulen oder bisexuellen Personen, dass sie Covering am Arbeitsplatz betreiben. Aber auch 45 % der heterosexuellen weißen Männer berichten von Covering-Erfahrungen, zum Beispiel in Bezug auf das Alter oder ihre mentale Gesundheit.

Alle Formen des Covering sind weit verbreitet. So gibt eine neuere Studie von Deloitte [4] an, dass sich 74 % der befragten Arbeitnehmer:innen negativ beeinflusst fühlen, weil sie in ihrer Organisation den Druck verspüren, Covering betreiben zu müssen. Diese Einflüsse wirken beispielsweise auf die Konzentration, das Selbstbewusstsein, das generelle Wohlbefinden oder auch auf Leistung und Engagement.


Wodurch entsteht Covering?

Russell K. Robinson erweitert in seinem Essay [5] die Perspektiven hinsichtlich Yoshinos Konzept, indem er zwei andere Formen des Covering identifiziert:

  • Gruppeninternes Covering: Druck innerhalb der eigenen Gruppe, sich bestimmten Normen anzupassen.

  • Selbstauferlegtes Covering: Individuelle Entscheidungen, Aspekte der eigenen Identität zu verbergen, oft aus Angst vor Ablehnung oder Nachteilen.

Ob auf Druck von außen oder aus persönlichen Gründen, Covering soll demnach dazu beitragen, sich den Gepflogenheiten am Arbeitsplatz anzupassen, integriert zu wirken, Vorurteile oder Konflikte zu vermeiden oder um beruflich nicht benachteiligt zu werden. Das Phänomen tritt auch auf, weil Organisationen oft implizit Konformität fördern, anstatt Diversität vollständig zu akzeptieren.


Was bedeutet Covering für Arbeitnehmer:innen?

Covering beeinträchtigt Menschen auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, Teile ihrer Identität verbergen zu müssen, kann dies zu Stress, Unzufriedenheit, geringerer Produktivität und Problemen bei der Zusammenarbeit führen. Organisationen, die eine Kultur der Authentizität fördern, können hingegen von höherem Engagement und besserer Teamdynamik profitieren.

Mögliche Auswirkungen von Covering auf Mitarbeitende zeigen sich auf individueller, zwischenmenschlicher und beruflicher Ebene:

Psychische und emotionale Auswirkungen

  • Dauerhafte innere Anspannung durch ständige Selbstkontrolle: Wie wirke ich gerade?

  • Energieverlust: Covering kostet kognitive und emotionale Ressourcen.

  • Gefühl der Entfremdung vom eigenen Selbst: Ich darf nicht zeigen, wer ich bin!

  • Sinkendes Selbstwertgefühl: Eigene Identitätsmerkmale werden als „nicht passend“ erlebt.

  • Emotionale Erschöpfung: Die Gefahr eines „leises Ausbrennens“ ohne erkennbare Überlastung.

Auswirkungen auf Beziehungen und Teamdynamik

  • Weniger Vertrauen und Nähe zu Kolleg:innen: Die kennen mich gar nicht wirklich!

  • Weniger psychologische Sicherheit: Offenheit wird als nicht willkommen erlebt.

  • Geringere Beteiligung an Diskussionen oder Entscheidungen aus Angst, aufzufallen.

  • Rückzug aus sozialen Situationen, z. B. in Pausen oder bei Events, um Covering aufrechtzuerhalten.

  • Vermeidung von Feedback oder Sichtbarkeit, um nicht angreifbar zu wirken.

Berufliche Auswirkungen

  • Weniger Innovation oder Kreativität, weil neue Ideen mit der eigenen Persönlichkeit und Erfahrung verknüpft sind.

  • Karrierehemmnisse, wenn Sichtbarkeit und „Cultural Fit“ über Chancen entscheiden.

  • Verzicht auf Entwicklungsmöglichkeiten, wenn diese mit Offenheit verbunden wären.

  • Sinkende Motivation und Identifikation mit dem Arbeitgebenden, wenn dort Individualität nicht geschätzt wird.

  • Erhöhte Fluktuationsneigung, insbesondere bei fehlender Inklusionskultur.

Langfristige, indirekte Folgen für die Organisation

  • Verlust von Potenzialträger:innen, die sich nicht gesehen, gehört oder anerkannt fühlen.

  • „Kulturelles Schweigen“, indem kritische Perspektiven oder Erfahrungen nicht geäußert werden

  • Verstärkung von Anpassungsdruck, besonders für marginalisierte Gruppen.

  • Schein-Inklusion, wenn Vielfalt zwar auf dem Papier existiert, aber dennoch Uniformität im Verhalten erwartet wird.

Die obigen Nachteile können von den betroffenen Personen unterschiedlich wahrgenommen werden. Manche erleben sie als marginal gegenüber den gewonnenen Vorteilen, andere belasten diese Auswirkungen sehr bis hin zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Das Konzept des Covering macht deutlich, wie subtiler Anpassungsdruck im Job und sogar in allen Lebensbereichen wirkt und welche Auswirkungen er auf Individuen und Gemeinschaften haben kann. Ein bewusster Umgang mit diesen Mechanismen und die Förderung von Authentizität können dazu beitragen, inklusivere und gerechtere Umfelder zu schaffen.


Wie funktioniert Uncover Covering?

Die Überwindung von Covering ist durch Veränderung auf drei Ebenen möglich: bei der betroffenen Person selbst, im sozialen Umfeld und auf Unternehmensebene.

Was können betroffene Personen selbst tun?

Durch Selbstreflexion können sie sich folgender Mechanismen bewusst werden:

  • Erkennen: Was verdecke ich und warum?

  • Reflektieren: Welche Anteile von mir wünsche ich mir zu zeigen?

  • Differenzieren: Welche Anpassung ist bewusst gewählt, welche erzwungen?

  • Eigene Erfahrungen in Worte fassen: z. B. im Coaching, beim Journaling.

  • Unterstützung suchen: z.B. bei geeigneten Anlaufstellen im Unternehmen wie Mitarbeitenden-Netzwerke oder beim betrieblichen Gesundheitsmanagement

So können von Covering betroffene Personen kleine Schritte in Richtung Sichtbarkeit unternehmen und in Situationen, wo es sich sicher anfühlt, neue Seiten von sich zeigen. Sie sollten aber auch Grenzen anerkennen, denn Covering abzubauen braucht Zeit und eventuell Begleitung.

Auch im Rahmen von Job Crafting kann Covering in den Fokus genommen werden. Gerade durch Relationship Crafting, Health Crafting und Identity Crafting können Ansätze entwickelt werden, um die eigenen Entscheidungen und Verhaltensmuster zu hinterfragen und Veränderungen anzugehen.

Was hilft außerdem?

Im beruflichen Umfeld können Kolleg:innen und Führungskräfte dazu beitragen, dass man einander ehrlich zuhört und sichere Räume schafft. Dazu gehört es beispielsweise Interesse an der ganzen Person zu zeigen, nicht nur an der Funktion, die sie im Unternehmen ausübt.

Alle können helfen, Covering sichtbar zu machen, indem sie persönliche Erfahrungen einbringen, Covering grundsätzlich thematisieren oder erlebte Beispiele schildern. Dabei darf aber kein Zwang zur Offenlegung entstehen.

Insgesamt kann die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz durch das Verhalten Aller gestärkt werden. Fehler, Unsicherheiten und Unterschiede werden aktiv willkommen geheißen, was dabei hilft, auch anderen als heikel empfundenen Themen Raum zu geben.

Ein Teller mit unterschiedlichen Keksen - Unser Icon für Vielfalt

Organisationen können sich aktiv mit Diversität beschäftigen und gezielt Diversity Management einführen, um strukturelle Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Sichtbarkeit und Wertschätzung von Vielfalt in der Belegschaft helfen, Barrieren abzubauen. Möglichkeiten zur Beteiligung der Mitarbeitenden an Vielfaltsinitiativen tragen dazu bei, dass alle Gruppen mit ihren Bedürfnissen gehört werden. Trainingsangebote zum Abbau von Vorurteilen, zur Sensibilisierung für psychologische Sicherheit oder inklusive Sprache und für weitere vielfaltsrelevante Themen sind für Führungskräfte und auch Mitarbeitende sinnvoll.

So wird betont, dass statt “Cultural Fit” und Gleichmacherei die Vielfalt und Individualität der Mitarbeitenden ein strategisches unternehmerisches Ziel und willkommen ist.


Wie wir gemeinsam Covering überwinden können

Covering ist kein individuelles Problem, sondern eine soziale Schutzreaktion. Die eigenen Mechanismen erkennen, deren Ursachen analysieren und durch gezielte Veränderungen eine Besserung der persönlichen Situation herbeiführen ist ein proaktiver und selbstgesteuerter Ansatz, der individuell gestaltet werden kann.

Covering als Gemeinschaft zu bekämpfen heißt nicht, Menschen mit all ihren Facetten zur Offenheit zu drängen, sondern Räume zu schaffen, in denen sie nicht mehr verstecken müssen, was sie ausmacht. Zu einer sicheren Arbeitsumgebung können wir alle beitragen: als Kolleg:innen, als Führungskräfte und als Entscheider:innen im Top-Management.

 

Referenzen:
[1] Yoshino, K. (2006). Covering: The Hidden Assault on Our Civil Rights. Random House.
[2] Goffman, E. (1963). Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. 
[3] Deloitte Development LLC. (2019). Uncovering talent: A new model of inclusion. https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/about-deloitte/us-about-deloitte-uncovering-talent-a-new-model-of-inclusion.pdf
[4] Deloitte Development LLC. (2024, February 7). The cost of covering: A threat to individuals and outcomes. action.deloitte.com. https://action.deloitte.com/insight/3756/the-cost-of-covering-a-threat-to-individuals-and-outcomes
[5] Robinson, Russell K., Uncovering Covering. Northwestern University Law Review, Vol. 101, pp. 1809-1850, 2007, UCLA School of Law Research Paper No. 07-06.

 

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